Unser Ortsverein

Als Mitte des vorletzten Jahrhunderts die Industrialisierung im Deutschen Reich Einzug hielt, herrschten für heutige Maßstäbe geradezu unmenschliche Zustände für die Arbeiter.
Die Arbeitszeit betrug täglich 12 Stunden und mehr und dabei darf nicht vergessen werden, dass es sich hierbei fast ausschließlich um harte, körperliche Arbeit (z.B. unter Tage) handelte und nicht um einen bequemen Bürojob.Den anfangs vollkommen unorganisierten Arbeitern gelang es erst im Zuge der Gründung vonGewerkschaften, unter widrigsten Bedingungen und in einem schleppenden Tempo, ihre Interessen zu vertreten.

Aus den verschiedenen Arbeiterorganisationen ging 1863 der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein hervor. Darauf folgte 1875 die Gründung der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands auf dem Einigungsparteitag in Gotha. Sozialdemokratischen Partei Deutschlands war erst ab 1891 der offizielle Name dieser Vereinigung.

Die sich bald einstellenden Wahlerfolge der SPD und der damit einhergehende Einzuvon Arbeitervertretern in die jeweiligen Parlamente blieben nicht ohne Wirkung auf die damaligen Regierungen. So wurde schon unter Bismarck mit dem „Gesetz zur Bekämpfung der gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ versucht die sozialdemokratische Bewegung zu vernichten.
Der als „Sozialreform“ getarnte Köder sollte die Arbeiter von ihren Vertretern isolieren. Doch gleich nach der Aufhebung des Verbots 1890, konnte die Vereinigung einen großen Zulauf an Mitgliedern und Wählern verbuchen.

Nach stetig sich verbessernden Wahlergebnissen hatte sich die SPD in den 90er-Jahren des 19.Jahrhunderts als feste Größe im politischen Diskurs etabliert. In vielen Ortschaften wurden Arbeitervereine gegründet, um sich für die Belange der arbeitenden Bevölkerung stark zu machen. So geschah es auch in Ingersheim…

Der aus Birkach bei Stuttgart zugezogene Glaser Christian Braun war neben Johann Härle und Karl Heilemann eines der Gründungsmitglieder des Arbeiterverein Ingersheim. Die Gründung fand 1901 im Gasthaus Ochsen statt, genauso wie die spätere Gründung des SPD-Ortsvereins 1904. Die wichtigsten Ziele hießen damals: Einführung des 8-Stunden-Tages, Urlaub (also Gewährung eines solchen überhaupt) und Kindergeld.

Der Beginn des 1.Weltkriegs unterbrach die Arbeit im Ortsverein, welche mit Beginn der Weimarer Republik 1919 wieder aufgenommen wurde. Von der Ingersheimer SPD-Liste wurden zwischen 1919 und 1933 Karl Zentmaier (sen.), Ernst Cramer, Wilhelm Scheyhing, Karl Riegraf, Karl Glück, Fritz Rösch und Friedrich Nägele in den Gemeinderat gewählt.
Unter der Vorstandschaft von Karl Braun, der 1928 für den Landtag in Stuttgart aufgestellt wurde, erhielt der Ortsverein neue Impulse. Nach der Machtübernahme der NSDAP wurden alle Parteien und Gewerkschaften verboten und die Vereine gleichgeschaltet. Ihre Vermögen wurden eingezogen und es fanden Hausdurchsuchungen statt, u.a. bei Karl Braun und anderen Ingersheimer Genossen, bei denen zahlreiche Unterlagen beschlagnahmt wurden.
Als der 2.Weltkrieg beendet war und die Besatzungsmacht die NSDAP-Gemeinderäte und Bürgermeister Sieber ihrer Ämter enthoben, trat ein sogenannter Arbeitsausschuss unter Vorsitz von Karl Braun. Der Arbeitsausschuss wurde nach der damaligen Bevölkerungsstruktur bestimmt. Ihm gehörten u.a. Wilhelm Bay, Karl Braun und Friedrich Nägele an.
Neuer Vorstand des Ortsvereins Ingersheim wurde Erwin Leibbrand, der sich um den Wiederaufbau des OV Großingersheim verdient machte. Karl Braun wurde als kommissarischer Bürgermeister eingesetzt. In den darauf folgenden Jahren wurde er als Bürgermeister (2 Perioden), Landtagsabgeordneter (4 Perioden), Kreistagsmitglied und Kreisrat in seinen Ämtern bestätigt.
Das zugezogene Parteimitglied Ernst Schumacher wurde für 2 Jahre Bürgermeister von Kleiningersheim, später Gemeinderat in Großingersheim. In den Wahlkämpfen fungierte er als Redner und Sprecher für Karl Braun, welcher erst durch Claus Weyrosta von seinem Landtagsmandat abgelöst wurde. Fritz Nägele übernahm den Fraktionsvorsitz und wurde in diesem Amt von Eugen Majer und später Eugen Stengel abgelöst. Stellvertretender Bürgermeister war zunächst Wilhelm Bay und darauf Eugen Majer.

Die Versorgung mit Wohnraum bereitete der Verwaltung die größten Schwierigkeiten. Durch die Bodenreform von 1950/1951 wurden die ersten 38 Wohnungen eines Siedlungsgebietes gegenüber dem neuen Schulhausgelände fertig gestellt. Ein weiteres akutes Problem stellte die Wasserversorgung dar, vor allem hinsichtlich dem dringend notwendigen Ausbau der Ortskanalisation. Baulandbeschaffung und Umlegung waren weitere der zahlreichen Probleme, denen sich die Sozialdemokraten auf dem Rathaus stellten und lösten. Durch die Initiative des Gemeinderats unter tätiger Mithilfe der LVA Stuttgart und des Innenministers Fritz Ulrich wurde im Jahr 1950 das erste Schulhaus im Kreis Ludwigsburg fertig gestellt. 1965 folgte die Einweihung des Erweiterungsbaus.

Auch auf dem kulturellen Sektor machte sich sozialdemokratisches Engagement bemerkbar. So gelang es unter Hauptvorstand Friedrich Nägele alle Vereine im Sport- und Kulturverein (SKV) zusammen zu schließen., wodurch dem Vereinsleben neues Leben eingehaucht wurde.
Die Vereinsfamilie verfolgte aber noch wesentlich ehrgeizigere Ziele. So konnte durch zinslose Darlehen der Mitglieder, Unterstützung staatlicher Stellen und erhebliche Eigenleistungen in kurzer Zeit die Sport- und Festhalle erbaut werden (1952/1953).
In den letzten beiden Jahrzehnten des 20.Jahrhunderts standen vor allem der Neubau der Fischerwörthhalle und des Sportzentrums im Mittelpunkt, sowie der Bau des neuen Rathauses.

Bis heute zieht sich vor allem die Umgehungsstraßenproblematik wie ein roter Faden durch den kommunalpolitischen Alltag.

Bezüglich des Ortsvereins wurde so manche Krise überstanden, indem Leute wie Heinrich Kurz und Hilde Grabenstein sich einer Auflösung mangels aktiver Mitglieder mit ihrer Tatkraft entgegenstemmten. Aber auch Franz Esterbauer, der in der Zeit davor stolze 16 Jahre den Ortsverein führte muss hierfür gedankt werden. Über die Gemeinde hinaus fungierten in zahlreichen Ämtern vor allem Gerhard Buhl und Eugen Stengel, die sich so über die kommunale Ebene hinweg hohes Ansehen erarbeitet und verdient haben.
Heute hält sich der Ortsverein bei ungefähr 30 Mitgliedern, wobei vor allem die relativ zahlreichen jungen Neumitglieder der letzten Jahre die Hoffnung nicht versiegen lassen, dass der Ortsverein Ingersheim seiner Tradition noch ein weiteres Jahrhundert aktiver politischer Tätigkeit folgen lassen kann.